Herr Albert war schon 95 Jahre alt, aber immer noch jederzeit in der Lage, jemanden zu verprügeln. Er war ein sehr großer, kräftiger Mann. Er ging zwar schon gebückt, er brauchte aber keinen Stock. Sogar unser Feuer speiender Hausdrache aus der Teeküche hatte großen Respekt vor ihm.
Albert bekam jeden Vormittag – Arztverbot hin oder her – eine „weiße Mischung“ (Wein mit Mineralwasser), oder sonst wurde er rabiat. Er hatte in seinem Leben schon so viel mitgemacht, das Altenheim würde er auch noch überleben.
In jungen Jahren hatte er eine Familie gegründet und ein Haus gebaut. Mit 36 meldete er sich freiwillig zum Krieg, mit 42 kam er in russische Kriegsgefangenschaft. Mit Glück kam er acht Jahre später wieder heim, da war er bereits 50.
Aber seine Frau hatte ihn für tot erklären lassen und in der Zwischenzeit wieder geheiratet. Er stand vor dem Nichts. Keine Familie, kein Haus, kein Grundstück, kein Geld. Und trotzdem schaffte er es, sich wieder eine Existenz aufzubauen. Aber er schottete sich von der Gesellschaft ab. Er konnte es nie überwinden, dass seine Frau bei ihm die Hoffnung aufgegeben hatte.
Und nun war er im Altenheim gelandet, in seiner persönlichen Vorhölle, umgeben von Feinden. Hier waren Partisanen angestellt, die ihn vergiften wollten. Davon war er überzeugt! Für ihn waren alle Slowenen Partisanen, die ihn umbringen wollten. Unsere Schwestern aus Slowenien hatten es nicht leicht mit ihm.
Eines Nachts verstarb er plötzlich und unerwartet. Wurde er wirklich vergiftet? Natürlich nicht. Es war Herzversagen. Und da er keine Angehörigen hatte, wurde ein Zivildiener beauftragt, zu seinem Begräbnis zu gehen, damit wenigstens jemand außer dem Pfarrer und den Ministranten am Grab stand.
Ich hatte gerade Dienst, es war ein schöner Freitagnachmittag. Ich ging zum Friedhof, es war ungefähr 13:30 Uhr. Der Pfarrer wollte das Begräbnis schnell hinter sich bringen, aber ganz so schnell ging es nicht, weil ja auch der Kameradschaftsbund anwesend war, der dem Kameraden Albert die letzte Ehre zuteil kommen lassen wollte.
Zufällig war an diesem Wochenende in der Nähe das Bundesheer stationiert, es führte große Manöver im Bezirk durch, es waren auch internationale Beobachter eingeladen. Ein paar Kilometer entfernt gehört dem Heer ein Stück Wald, wo es nach Lust und Laune schießen und sprengen darf.
Und an diesem Freitagnachmittag war dann das große Abschlussmanöver mit allem Drum und Dran geplant. Panzer, Hubschrauber und sogar die Abfangjäger sollten zum Einsatz kommen. Um 15:00 sollte es losgehen.
Um 13:45 wurde Alberts Sarg ins Grab gelassen. Der Obmann des Kameradschaftsbunds würdigte den heldenhaften Einsatz des Kameraden, wies auf irgendwelche Orden hin, die Albert bekommen hatte. Und wie es beim Kameradschaftsbund so üblich ist, wurde der Verblichene mit drei Salutschüssen geehrt. Bumm! Bumm! Bumm!
Dem Bundesheer hatte aber niemand gesagt, dass auf dem Friedhof ein Begräbnis mit Böllerschüssen statt findet. Deshalb glaubten die aktiven Soldaten auch, die Schüsse wären der verfrühte Startschuss zum Manöver. Der Feind wäre also schon da und griff an!
Verdammter Mist! Mehr als eine Stunde zu früh! Wer hatte sich denn das ausgedacht? Beim Heer brach das totale Chaos aus. Die Hubschrauber waren noch nicht fertig aufgetankt, die Panzer noch nicht an ihrem Platz, von Abfangjägern sowieso keine Spur. Aber die Infanterie war schon unterwegs und fing den dritten Weltkrieg ganz alleine an, mit Bomben und Granaten!
Die internationalen Beobachter fanden das Manöver sehr amüsant, wurde später erzählt. Sie versprachen jedenfalls der Generalität, dass sie – sollten sie jemals Feinde werden – niemals verfrüht angreifen würden. Schließlich weiß man ja, was sich gehört.
Auch Albert hatte sicher seine rechte Freude daran, davon bin ich felsenfest überzeugt.
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