6. Blind Date

Blind Date | Foto: © xavier gallego morel - Fotolia.com
Blind Date | Foto: © xavier gallego morel - Fotolia.com

Eine Woche vor dem Blind Date saß ich an einem Abend voller Vorfreude vor meinem Schreibtisch und wartete auf meinen Freund. Studentendisco war angesagt. Auf dem Plan stand: Hüfte schwingen, Schnecken checken, Schlampen schleppen und dann Chicken fi-… Heute ist mir das irgendwie peinlich, das mit dem „Chicken fi-…“, aber wir fanden es damals lustig. Nein, nicht, weil wir es gemacht hätten, sondern nur wegen der Wendung „Chicken fi…“ an und für sich natürlich, wegen des Reimes.

Aber zurück zu diesem Abend. Mein Freund rief an, ihm wäre etwas dazwischen gekommen, er musste also absagen. Ich war sauer! Schwarze Gewitterwolken zogen auf. Im Fernsehen nur Blödsinn, alleine wollte ich dann auch nicht in die Disco. Also, was tun? Ich beschäftigte mich mit irgendeinem belanglosen Computerspiel. Die Zeit verging nicht. Ich legte mich ins Bett, dachte so über mich, die Frauen im Allgemeinen und im Besonderen nach.

Also, der Hälfte aller nicht vergebenen Frauen bin ich wahrscheinlich zu hässlich. Die Hälfte der übrig gebliebenen anderen Hälfte finde ich nicht attraktiv genug. Der Hälfte der übrig gebliebenen anderen Hälfte bin ich nicht reich genug. Die Hälfte der übrig gebliebenen anderen Hälfte würde mich nicht verstehen, weil sie eine andere Sprache spricht. Die Hälfte der übrig gebliebenen anderen Hälfte würde mich nicht verstehen, obwohl sie die gleiche Sprache spricht. Die Hälfte der übrig gebliebenen anderen Hälfte steht auf muskelbepackte Solariumtrottel. Und so weiter. Und so fort.

Zum Schluss bleibt also genau eine Frau übrig, die für mich in Frage kommt, und die wohnt wahrscheinlich in Hinter-Tadschikistan und ist lesbisch. Aber wenn sie eine schöne Freundin hätte und wenn wir es zu dritt machen könnten…?

Als unausgeglichener Jungspund hat man es nicht leicht, die Nächte allein in einem Bett zu verbringen. Diese ungezügelten Hormone…

Und so grübelte ich und grübelte ich. Über Gott und die Welt und die vielen Ungerechtigkeiten. Vor allem über die vielen Ungerechtigkeiten mir gegenüber. Und ich hörte im Radio eine Nachtsendung. Da gab es das Spiel „Blind Date“. Drei Leute – vom jeweils anderen Geschlecht – stellen sich beim Kandidaten vor. Ist einer dabei, der halbwegs passabel klingt und wenn dieser dann auch noch das Lieblingslied errät, dann werden die Kontaktdaten ausgetauscht.

Ich frage mich noch heute, welcher Teufel mich geritten hatte, dass ich da anrief. Aber es war noch viel schlimmer, ich bin auch noch durchgekommen! Ich war also der Mister Love, der auf drei Engelskandidatinnen wartete.

Nun, ich gebe zu, ich war damals schon etwas geübt, es war nicht das allererste Mal, dass ich beim ORF angerufen hatte.

Die erste telefonische Kontaktaufnahme mit dem ORF war ein Anruf bei der FM4 Radioshow „Blech oder Blume“. Die fand immer dienstags um 0:00 statt, also Primetime für übrig gebliebene Studenten und andere Verlierer.

Die Sendung war eine Kuppelshow, damals geleitet von den Spaßmachern Dirk Stermann und Christoph Grissemann, bei der es darum ging, dass eine Göttin unter die Haube gebracht werden sollte. Die Anrufer mussten sich kurz vorstellen. Wenn die Vorstellung gefiel, gab es eine kurze Chance, mit ihr direkt zu reden. Und sie sagte dann abschließend „Blech“ oder „Blume“. Bei „Blech“ schied man sofort aus. Wenn man die „Blume“ bekam, aber ein nächster Anrufer auch, dann schied man auch aus. Und wer zum Schluss dann die Blume hatte, der durfte die Göttin zumindest näher kennen lernen. Klingt alles sehr kompliziert, und das war es auch.

Denn es ging bei der Sendung in erster Linie nicht darum, dass die Kandidatin einen Mann abbekam, sondern darum, dass die beiden ausgekochten Moderatoren die Anrufer zum Gaudium der Zuhörer so richtig auf die Schaufel nehmen konnten. Das wusste ich damals schon irgendwie, trotzdem wollte ich mein Glück versuchen.

Ich rief an und kam tatsächlich durch. Und nach einer Minute – ich hatte eigentlich nur „hallo“ gesagt – war ich ein einbeiniger Strumpfhosenfetischist, ein Förderer des Tanztheaters Humunculus, ein bemitleidenswerter Student, den man nach dem Urlaub im Tierheim ausgesetzt hatte und so weiter und so fort. Die beiden Moderatoren hatten mich in Windeseile vernichtet. Ich war baff, brachte kein Wort mehr heraus. Was für eine Niederlage! Dann stammelte ich noch irgendetwas Blödsinniges. Ich bekam „Blech“. Aus und vorbei.

Gott, war ich sauer!!! Und war mir das peinlich!!!

Und dann rief mich anschließend auch noch eine ehemalige Schulfreundin an, in der Nacht, und fragte mich: „Georg, warst das du grad im Radio?“

Ich war dann eine Woche nicht ansprechbar.

Aber zurück zu meinem Anruf beim „Blind Date“. Ich war also ein gebranntes Kind, was den Anruf bei FM4 betraf. Aber ich gab noch nicht auf. Das nächste Mal rief ich bei Ö3 an.

Wieder griff ich spontan zum Hörer. Freizeichen, verdammt! Ich begann zu schwitzen.

„Hallo, wer spricht, bitte?“ fragte der Moderator.

„Ja, hallo, da ist der Georg.“ – Mist, ich wollte eigentlich einen anderen Namen sagen!

„Hallo, Georg, wie alt bist du?“

„23.“

„Und was machst du beruflich?“

„Studieren.“

„Und was willst du einmal werden?“

„Lehrer oder Straßenkehrer.“

„Haha, okay, nach der übernächsten Platte bist du dran. Du kannst dich dann 20 Sekunden lang vorstellen. Okay?“

„Okay.“

Also, 20 Sekunden, um sich der Welt bzw. allen verfügbaren Frauen vorzustellen, die gerade Radio hören und noch keinen Mann haben.

20 Sekunden, um das richtige Bild zu vermitteln. Was sagt man bloß in 20 Sekunden?

Ich war nervös.

„Hallo, ich bin der Georg, habe wunderschöne blaue Augen…“ Das würde vier Sekunden dauern.

Wenn ich schon sonst damals mit meinem Äußeren nicht zufrieden war, mit meinen Augen war ich es. Ich habe große, blaue Augen. Und in der Nacht, im Finstern, werden die so groß, dass viele z.B. in der Disco glaubten, dass ich irgendwelche Drogen genommen hätte. Dazu war ich damals noch spindeldürr. Nicht unbedingt ein Adonis, um es mir gegenüber höflich zu sagen. Aber die blauen Augen! Wenigstens etwas!

Ich wollte also der Welt vermitteln, dass das Wichtigste an mir meine blauen Augen wären.

Ich hörte im Hintergrund den Moderator.

„So, jetzt ist es endlich soweit, wir haben den ersten Kandidaten für unser Single Spiel, der, wenn alles bei ihm schief gehen sollte, Straßenkehrer werden will. Wer ist dran?“

„Ja, hallo, da spricht der Georg.“

„Hallo Georg. Die Spielregeln sind dir bekannt?“

„Ja, ich glaube schon.“

„Okay, für alle, die heute zum ersten Mal zuhören, erkläre ich sie noch einmal ganz kurz. Georg, du stellst dich 20 Sekunden lang vor. Dann, nach der nächsten Platte, bekommt eine Anruferin ebenfalls 20 Sekunden Zeit. Wenn dir ihre Vorstellung gefällt, kannst du mit ihr spielen, oder die nächste verlangen. Allerdings ist nicht sicher, ob noch eine Anruferin in der Leitung ist. Maximal gesteh ich dir drei Anruferinnen zu, sonst platzt unsere Sendezeit. Wenn du dich dann entschieden hast, werden ihr drei Platten vorgespielt, wovon dir eine besonders gut gefällt. Errät sie deine Lieblingsplatte, werden die Telefonnummern von euch ausgetauscht und ihr könnt euch anrufen und alle Details für eure Hochzeit besprechen.“ Ich lachte. „Soweit alles klar?“

„Okay.“

„Also, Georg, los geht’s!“ Eine Hintergrundsignation für die 20 Sekunden wurde eingespielt.

Und plötzlich bekam ich einen Sprechdurchfall: „Ja, ich bin der Georg, ich bin 23 Jahre alt, komme aus der Steiermark, bin ca. 1,82 Meter groß, hab wunderschöne, blaue Augen und studiere Publizistik und Politikwissenschaft. Musikhören tu ich alles von U2 bis Depeche Mode. Ja, und, ja, Sport betreiben tu ich auch, Tennisspielen, Schifahren. Und meine große Leidenschaft ist das Billardspielen, aaaah…“

Und schon war mir der Gesprächsstoff ausgegangen. Man sollte es nicht für möglich halten, wie lange 20 Sekunden in solchen Situationen dauern können.

Aber der Moderator half mir: „Das einzige, was ich beim Billard kenne, ist das Snooker. Spielst du das?“ fragte er.

„Nein, nein, Snooker ist mir noch eine Schuhnummer zu groß. Ich spiel lieber Pool.“

„Das ist das, wo man die zwei anderen Kugeln treffen muss?“

„Nein, nein, das ist Carambol! Pool ist das mit den Löchern.“

„Okay, Georg, deine 20 Sekunden sind um, bleib bitte bis zur nächsten Platte in der Leitung“, schloss er ab.

In solchen Situationen kann man nicht mehr klar und vernünftig denken. Deswegen habe ich auch nicht aufgelegt, sondern die Anruferinnen abgewartet.

Ende der Platte. Moderator: „Unser Spiel geht weiter, hören wir einmal, wen wir in der zweiten Leitung für den Georg haben. Hallo?“

„Hallo?“ antwortete eine Stimme.

„Wie heißt du?“ fragte der Moderator.

„Erika.“

„Okay, Erika, du hast jetzt auch 20 Sekunden Zeit, dich vorzustellen! Los geht’s!“

„Ja, hallo, ich bin die Erika, ich bin 34 Jahre alt, wohne in Innsbruck, betreibe gerne Sport, also, Schifahren, Schwimmen, ja, uuund…“ Und schon wusste sie auch nicht mehr weiter.

Der Moderator half ihr: „Was hält dich um diese Zeit noch wach, Erika?“

„Mein Sohn, mit dem hab ich noch ein Gespräch geführt.“

„Dein Sohn, der darf noch so lange aufbleiben?!“

„Ja, ja.“

„Eine tolle Mutter. Wie alt ist er denn?“

„Oh, der ist noch jung.“

„Und wie alt?“ ließ der Moderator nicht locker.

Ich verdrehte die Augen und stöhnte innerlich.

„Heuer wird er 14“, sagte sie.

„Aha. Welche Musik hörst du gerne?“

„Ja, alles, was in der Hitparade gerade aktuell ist. Jetzt ist mein Lieblingslied das vom Elton John. Aber ich höre auch gerne Rainhard Fendrich.“

„So, deine Zeit ist um. Georg?“ fragte der Moderator.

„Ja?“ antwortete ich.

„Möchtest du mit der Erika aus Innsbruck spielen?“

„Nicht bös sein, Erika, aber ich probier es mit der nächsten“, antwortete ich.

Nun, da war ich jetzt aber wirklich gespannt, welche Frauen da noch anrufen würden. Wie konnte denn die 34-jährige aus Innsbruck mit 14-jährigem Sohn auf die Idee kommen, dass ich der Richtige für sie wäre? Hilfe!

„Georg?“ fragte mich der Moderator am Telefon.

„Ja?“ antwortete ich.

„Bleib bitte in der Leitung.“

Die nächste Anruferin war 28, arbeitete als Verkäuferin in einem Tabakgeschäft und ging gerne ins Solarium, damit sie jeden mit ihrer Bräune blenden konnte, sie war eine so genannte Solariumgrillhenne.

Wer würde denn da noch anrufen, bitte?! Dann doch lieber von Stermann und Grissemann hingerichtet werden!

„Georg? Du weißt, dass nicht sicher eine dritte in der Leitung sein muss?“ sagte der Moderator on air.

„Ja, aber ich setz auf Risiko!“ antwortete ich.

„Na, dann hören wir einmal, ob noch wer in der Leitung ist! Hallo? … Hallo? Ist noch jemand in der zweiten Leitung?“ sagte der Moderator. Stille. „Hallo? Wer spricht, bitte?“ fragte noch einmal der Moderator.

„Da spricht die Claudia“, antwortete eine Stimme.

„Also, Claudia, stell dich bitte vor!“

„Ja, ich bin die Claudia, bin ca. 1,70 Meter groß, hab braune Augen, bin 25 Jahre alt, studiere VWL, betreibe gern Sport, und jobbe nebenbei in einem Eisgeschäft“, sagte sie.

Es war eigentlich egal, was sie noch sagte, ich musste mit ihr so oder so spielen. Aber ich fand ihre Stimme gar nicht so unsympathisch. Und sie erriet wirklich meine Platte. Jetzt war der große Moment gekommen. Ich bekam ihre Telefonnummer, sie die meine.

Aufgelegt. Sollte ich sie anrufen, oder würde sie mich anrufen? Eine Minute verging. Ich wurde immer aufgeregter. Verdammt. Was sollte ich mit ihr reden? „Ich brauche sie ja nicht anzurufen“, dachte ich mir. „Zeig doch einmal, dass du auch etwas Mumm in den Knochen hast, du Feigling!“ forderte mich meine innere Stimme auf.

Ich wählte ihre Nummer. Es hob keiner ab. „Das gibt es doch nicht!“ dachte ich mir. Ich wählte noch einmal. Nach dem zweiten Läuten hob sie ab.

„Hallo?“ fragte Claudia.

„Hallo, da spricht der Georg!“

„Ja, hallo! Ich hab gedacht, du rufst nicht mehr an!“

„Entschuldige, aber ich hab mich wahrscheinlich verwählt. Ich hab gedacht, du hebst nicht ab.“

„Ach so. Du hast überhaupt Glück, dass ich heute daheim bin. Mich haben zwei Freundinnen im Stich gelassen, ich wollte heute eigentlich fortgehen.“

„Ganz sicher in den Volksgarten.“

„Ja! Woher weißt du das?“

„Nicht im Ernst?! Da wollte ich auch hin!“ sagte ich überrascht.

Und so ging das Gespräch weiter und weiter und weiter. Ich erzählte von mir, sie erzählte von sich. Um drei Uhr drehte sich das Gespräch endlich darum, wo und wann wir uns treffen könnten.

Wir kamen nach unendlichen Themenabschweifungen um 4 Uhr überein, dass ich sie in einer Woche in dem Eissalon, in dem sie nebenbei arbeitete, um 22 Uhr abholen sollte. Ich musste Stracciatella-Eis bestellen, das war mein Erkennungszeichen.

Um 4 Uhr 30 legte ich den Telefonhörer auf.

Das ist die Traumfrau, die ich schon so lange gesucht habe! Endlich! Man muss also nur ein bisschen Geduld haben!

Das muss die Traumfrau sein! Gut, zumindest auf der Kommunikationsebene. Ich war der Meinung, dass wir die gleiche Wellenlänge hatten. Sonst hätten wir doch kaum zweieinhalb Stunden miteinander telefoniert? Telefoniert man mit einem wildfremden Menschen auf Anhieb so lange? Nein, das Blind Date musste ein Erfolg werden. Basta!

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